Tino Gerschler, Baltic Port Rail: Getreidefracht dominiert
© RAILMARKET.com NEWS / Ctirad Klimanek

In einem Exklusiv-Interview für RAILMARKET.com NEWS beleuchtet Tino Gerschler, Geschäftsführer der Baltic Port Rail Mukran GmbH, die Verschiebungen im Schienengüterverkehr des Hafens Mukran, die Dominanz der Getreidetransporte, Überlegungen zu Hybridlokomotiven, die Auswirkungen der Belt and Road-Initiative sowie das Wachstumspotenzial des Schienenhinterlandverkehrs und betont die Notwendigkeit einer stärkeren Anerkennung und Förderung der Bahnindustrie in Deutschland.


RM: Haben Sie in den letzten ein bis zwei Jahren Veränderungen im Gütermix des Hafens festgestellt?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Durch den Krieg in der Ukraine seit Februar 2022 hat es sicherlich Veränderungen gegeben. Bis dahin wurden neben dem kontinuierlichen Transport von Getreide vor allem Container von und nach China transportiert. Die ersten multimodalen Transporte auf der "Neuen Seidenstraße" gingen über Mukran als Bypass zum reinen Landweg über Polen/Weißrussland. Diese Transporte endeten im März 2022.

Seitdem wurde mehr Getreide per Bahn nach Mukran geliefert, um per Schiff nach Afrika und Asien weiter transportiert zu werden. Zusätzlich zu diesen Transporten wurde auch Steinkohle aus Indonesien und Australien per Bahn über Mukran nach Polen transportiert. Hinzu kommen gelegentlich projektbezogene Ladungen wie Schotter, Rohre oder Betonelemente.

RM: Welche Art von Fracht dominiert den Bahnverkehr im Hafen von Mukran?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Wie bereits erwähnt, ist Getreide der dominierende Bahntransport. Darüber hinaus werden die Gleise des Bahnhofs Mukran auch zum Abstellen von gebrauchten und hochwertigen Schienenfahrzeugen genutzt. Die vorhandene Infrastruktur bietet verschiedene Dienstleistungen wie eine Gleisgrube für Unterbodenarbeiten, eine Gleiswaage oder ein Gerüst für Arbeiten auf dem Dach von Schienenfahrzeugen.

RM: Der Hafen von Mukran steht in einem starken Wettbewerb mit den umliegenden Ost- und Nordseehäfen. Was würden Sie sagen, sind die Hauptvorteile des Hafens für Eisenbahnunternehmen?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Zum einen der lotsenfreie Zugang zum Hafen, aber auch die gute Bahnanbindung an das europäische Schienennetz. So konnten zum Beispiel bei den erwähnten Containertransporten deutlich längere Züge gefahren werden, als dies über Polen der Fall gewesen wäre. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Schienennetz, das Mukran anbindet, im Gegensatz zu anderen Hafenstandorten über enorme Kapazitätsreserven verfügt. Man denke nur an die enormen Mengen, die vor der politischen Wende über die Insel Rügen transportiert wurden. Ganz zu schweigen davon, dass wir durch die Struktur von Baltic Port Rail Mukran (BPRM) sehr flexibel auf Kundenwünsche reagieren können und immer kundenorientiert sind.

Und gerade wegen dieser guten Bahnanbindung an das Hinterland und der geografischen Nähe zu Skandinavien, der GUS, Finnland und den baltischen Staaten ist der Hafen von Mukran ein wichtiger Knotenpunkt für den internationalen Personen- und Güterverkehr.

RM: Viele Anbieter von Rangierdiensten auf der letzten Meile suchen nach alternativen Kraftstoffen oder Antrieben für ihre Lokomotiven. Was ist Ihre Meinung dazu?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Hybridlokomotiven eignen sich besonders für den Rangierbetrieb mit häufigen Starts und Stopps. Als BPRM prüfen wir auch deren Einsatz.

Auch dem Umweltaspekt wurde in Mukran schon sehr früh Rechnung getragen. So werden in bestimmten Bereichen des Geländes schon seit Jahrzehnten batteriebetriebene Traktoren anstelle von herkömmlichen Lokomotiven eingesetzt.

RM: Wie entwickelt sich die Verbindung mit Chinas "Belt and Road"-Initiative für Eisenbahnen?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Der Standort Mukran und in diesem Zusammenhang auch die BPRM haben in den Jahren 2019 bis 2022 bewiesen, dass Mukran ein sehr guter Bypass für den klassischen eurasischen Schienenverkehr ist. Die Kunden waren viel näher an den entsprechenden Terminals in Europa und konnten daher viel besser und zuverlässiger auf die dortigen Slots zugreifen. Auch hier spielten die bereits erwähnten Stärken von BPRM eine entscheidende Rolle. Es gab eine sehr enge Abstimmung mit allen beteiligten Partnern.

Darüber hinaus hat der Standort Mukran traditionell sehr gute Erfahrungen mit den GUS-Staaten gemacht, da dieser junge Hafen ursprünglich für diesen Zweck gebaut wurde. In der Zwischenzeit hat sich das Bild natürlich verändert und weiterentwickelt, und das Portfolio, das in Mukran präsentiert wird, ist viel breiter.

Insgesamt sehe ich ein großes Potenzial für den eurasischen Schienenverkehr in der Zukunft, insbesondere auf der Neuen Seidenstraße.

RM: Welche Auswirkungen wird die Fertigstellung des Fehmarnbelt-Tunnels Ihrer Meinung nach auf den Kurzstreckenseeverkehr und die anschließenden Bahnverbindungen haben?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Man muss sagen, dass die größte Zäsur in der skandinavischen Eisenbahnverbindung im Jahr 2000 erfolgte, als mit der Fertigstellung der Öresundbrücke eine durchgehende Landbrückenverbindung nach Schweden geschaffen wurde. Das war damals in den Häfen der südlichen Ostsee und auch in Mukran deutlich zu spüren. Heute konzentrieren sich die beiden Reedereien, die in Mukran nach Skandinavien fahren, mehr auf den Personenverkehr und ich sehe viel weniger oder gar keinen Einfluss des Fehmarnbelts. Auch mit der Fertigstellung des Fehmarnbelttunnels bleibt die Route über Mukran die kürzeste Verbindung nach Skandinavien. Vorteile sehe ich auch darin, dass die Hochgeschwindigkeitsfähre zwischen Mukran und Trelleborg die Attraktivität der Verbindung noch erhöht. Aus diesem Grund werden die Fähren in Mukran ab 2022 auch mit einem Personenzug verbunden, der die Lücke zwischen dem Regional- und Fernverkehr der Deutschen Bahn und den Fähren schließt. An diesem Projekt ist auch die BPRM beteiligt. Und auch dort steigt die Zahl der Fahrgäste. Immer mehr Menschen denken auch an die Umwelt.

Ich möchte ein kleines Beispiel anführen, um den Vorteil dieser guten Passagierverbindung zu verdeutlichen. Aufgrund der guten und schnellen Verbindung zum Flughafen Kopenhagen entscheiden sich immer mehr Einheimische dafür, diesen Flughafen zu nutzen, anstatt nach Berlin oder Hamburg zu reisen. Ganz einfach, weil man in Kopenhagen mit dem Schiff und dem Zug schneller zum Flughafen kommt als zum Beispiel in Berlin oder Hamburg.

RM: Sehen Sie Wachstumspotenzial für den Schienenhinterlandverkehr ab dem Hafen Mukran? Wenn ja, in welchen Bereichen?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Ich sehe klare Chancen für den Standort Mukran und in diesem Zusammenhang auch für die entsprechenden Hinterlandverbindungen. Zum einen gibt es enorme Kapazitätsreserven am Standort Mukran und auf den Zu- und Abfahrtsgleisen, wo andere Standorte ständig an ihre Grenzen stoßen. Ich glaube auch, dass der Schienenverkehr in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Dabei sind das wachsende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft und die entsprechenden Anforderungen der Verlader von entscheidender Bedeutung. Ein norwegischer Kunde zum Beispiel fordert aus Umweltgründen einen Bahntransport von Mukran nach Oslo.

Wir glauben auch, dass wir noch nicht an der Grenze angelangt sind, vor allem im Agrarbereich. Aber auch andere Massengüter, die nur auf der Schiene zum und vom Hafen transportiert werden können, werden in Zukunft eine Rolle spielen. Für die Zukunft erwarten wir, dass der Containerverkehr nach Mukran zurückkehrt, ebenso wie die Spezial- und Projektladung. Dabei spielt auch das von der EU beschriebene Korridorkonzept eine entscheidende Rolle. Auch im Personenverkehr gibt es noch viel Raum für Verbesserungen, und es ist wichtig, dieses Potenzial gemeinsam mit unseren Partnern zu entwickeln.

Das Hinterland selbst besteht hauptsächlich aus Süd- und Südosteuropa und den neuen Bundesländern. Aber auch in den Wirtschaftszentren der alten Bundesländer und Westeuropas haben wir unsere Leistungsfähigkeit schon mehrfach unter Beweis gestellt. So gab es zum Beispiel bei den Containertransporten der Neuen Seidenstraße über Mukran regelmäßige Zugverbindungen nach Rotterdam, Duisburg, Hamburg, Mannheim, Ulm und Köln, um nur einige zu nennen. In all dem sehe ich ein großes Potenzial für die Zukunft.

RM: Wenn Sie sich etwas für Ihr Unternehmen wünschen könnten, was wäre das?

Tino Gerschler, Baltic Port Rail Mukran GmbH: Es wäre eine viel größere Akzeptanz und Wertschätzung der Bahn als Ganzes. Und das darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sondern muss sich auch in Taten niederschlagen. Wichtig wäre meines Erachtens zum Beispiel, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Straße und Schiene zu schaffen. So müssen die Eisenbahnunternehmen alle Kosten tragen, die durch die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur entstehen, die bei den anderen Verkehrsträgern teilweise aus dem Staatshaushalt finanziert wird. Dies gilt sowohl für das Abstellen des rollenden Materials als auch für die Nutzung der Gleise selbst. Auch die Bürokratie im Schienenverkehr wird immer komplexer, obwohl sie schon jetzt in keinem Verhältnis zu derjenigen im Straßen- oder Binnenschiffsverkehr steht. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Lkw gehört genauso zur Logistik wie die Bahn, das Binnenschiff, das Flugzeug, der Lieferwagen und der Postbote auf dem Fahrrad. Aber jeder Verkehrsträger sollte entsprechend seinen Stärken in Kombination eingesetzt werden.

Wir brauchen einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens, dass die Bahn ein wichtiger, unverzichtbarer und guter Verkehrsträger ist, um die logistischen Herausforderungen der Gesellschaft klimafreundlich zu lösen. Dann können wir mehr Menschen dafür begeistern, einen Beruf in der Bahnindustrie zu erlernen.

Was den Schienenverkehr betrifft, können wir meiner Meinung nach viel von unserem Nachbarland, der Schweiz, lernen. Dort hat die Bahn ein viel positiveres Image in der Gesellschaft, sowohl wegen des positiven Images in der Bevölkerung als auch wegen der Subventionen, die sie erhält. Die Schweiz ist definitiv ein Eisenbahnland mit allem, was dazugehört.

Ich würde mir wünschen, dass Deutschland das auch tun könnte.

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